Elke Heidenreich: «Ich bin keine nette Alte»

VonSimeon Scholz

13. Mai 2024
Elke Heidenreich kann dem Alter viele positive Aspekte abgewinnen. Foto: Hannes P Albert/dpaElke Heidenreich kann dem Alter viele positive Aspekte abgewinnen. Foto: Hannes P Albert/dpa

Wie nur mit dem zunehmenden Alter umgehen? Das ist eine Frage, die sich ein jeder irgendwann stellen muss – und alle haben ganz verschiedene Antworten darauf. Für die meisten ist das Alter wohl ein Schreckgespenst, der gefürchtete letzte Lebensabschnitt, verbunden mit einer Abkopplung vom Leben und Einsamkeit. Hilft es da, das Alter mit aller Gewalt auszublenden? Mit Botox und aufgespritzten Lippen eine scheinbar ewige Jugend vorgaukeln? Die Autorin Elke Heidenreich geht einen ganz anderen Weg: Für sie ist das Alter etwas Unvermeidliches, was sie akzeptieren will und versucht – trotz unleugbarer negativer Aspekte  ̶ das Beste daraus zu gewinnen.

In ihrem Buch «Altern» schreibt die 81-Jährige über genau diese Themen: «Was macht das jetzt mit mir, das Alter? Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur: Ich stelle mich ihm, ich verleugne es nicht, ich versuche nicht jünger zu wirken, als ich bin. Und ich finde schon gar nicht, dass das Leben im Alter weniger wert ist.»

Zu Beginn behagte der strebsamen Autorin und Literaturkritikerin das Buchprojekt ihres Verlages allerdings gar nicht, sie wollte es sogar ablehnen. Doch nach genauerem Nachdenken sei ihr bewusst geworden, eben gerade hierzu eine Stimme zu haben, die doch einiges zu sagen hat mit über achtzig Jahren. Herausgekommen ist ein gut 100 Seiten starkes Buch, welches überwiegend autobiografisch geprägt ist, wie fast alle Bücher von Elke Heidenreich. Statistiken und wissenschaftliche Analysen wird man hier nicht finden, dagegen viele Zitate von Schriftstellern und Philosophen aller Epochen, die über das Alter geschrieben haben. Und Elke Heidenreich denkt mit ihnen weiter, auch wenn nicht alle dabei Gnade vor den Augen der Autorin finden. Die nicht gerade sehr Alters bejubelnden Zitate des römischen Philosophen Seneca wie: «Das Alter ist eine unheilbare Krankheit» und «Selten ist derselbe Mensch glücklich und alt» werden von Heidenreich folglich prompt gekontert: «Ich kenne sehr glückliche Alte, gehöre selbst dazu.»

«Alles über sechzig ist ein Geschenk»

In Anbetracht ihrer schwierigen Jugend erscheint ihr das hohe Alter als eine Art Gnade: «Alles über sechzig ist ein Geschenk, fast alles unter dreißig eine Quälerei.» Auf eine trostlose und unglückliche Kindheit folgten weitere orientierungslose Herz-Schmerz-Jugendjahre. «Wie viel sinnlos verschwendete Lebenszeit, heulend im Bett und nächtelang am Tagebuch.» Das Problem mit der Jugend sei indessen, dass sie zu früh käme und man sie mit mehr Erfahrung im Kopf folglich doch viel besser genießen könnte: «Ach ja, die Jugend wäre schön, wenn sie etwas später käme und wir schon etwas klüger wären, oder? An die Jungen ist sie ja geradezu verschwendet!»

Um im Alter glücklich zu sein, müsse man lernen, einmal getroffene Entscheidungen zu akzeptieren, selbst wenn sie sich nachher als falsch herausgestellt hätten. Auch sie selbst habe viele falsche Entscheidungen in ihrem Leben getroffen. Ein weitere Schlüssel für ein gelungenes Leben im Alter bestehe darin, sich aktiv zu engagieren, das aber natürlich schwierig sei, wenn man nicht mehr gesund ist. Die Autorin ist sich dementsprechend über ihre Privilegien bewusst und dankbar für eine nicht selbstverständliche Gesundheit und finanzielle Absicherung.

Keine Fitness- und Schönheitstipps

Das Buch zeichnet sich durch seine lockere Struktur und flotten Schreibweise aus. Darin wird man von Heidenreich keine Fitness- und Schönheitstipps erwarten. Sie spricht sich eben gegen einen «verblödeten» Schönheits- und Jugendkult der Gegenwart aus. Dass ihr Gesicht fast faltenlos geblieben sei, verdanke sie nämlich nicht etwa der Chirurgie, sondern einem ererbten guten Bindegewebe: «Ich will kein Kunstprodukt sein, ich will ICH sein, mit meinen Haaren, die immer schon mausig waren und nun wunderbarerweise fast nicht grau werden.» Was ihren Charakter angehe, so ändere er sich im Alter wohl nicht mehr. Sie sieht sich nicht als «Gesunde, woke, Brave», was ihr auf den Wecker gehe. «Ich bin keine nette Alte.»

Elke Heidenreich ist heute mit einem fast 30 Jahre jüngeren Musiker liiert. Trotzdem sehe sie weiterhin gerne «schönen jungen Männern nach, die für mich nun unerreichbar sind.» Dieser Umstand im Alter schmerze sie aber nicht, denn «es gab ja eine Zeit, da war das nicht so, und ich hatte diese Zeit. Sie ist – ohne jedes Bedauern – vorbei. Und ich setze meine Brille auf und lese dann eben Liebesgeschichten, statt sie zu erleben.»

Elke Heidenreich: Altern, Hanser Berlin, Berlin, 112 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-446-27964-3

Quellen: Mit Material der dpa.