Schweiz gewinnt Chaos-ESC – Deutschland Zwölfter

VonStefan Mattins

13. Mai 2024
Nemos Song «The Code» erfreute sich schon im Vorfeld großer Beliebtheit. Foto: Jens Büttner/dpaNemos Song «The Code» erfreute sich schon im Vorfeld großer Beliebtheit. Foto: Jens Büttner/dpa

War es das Waterloo für die größte Musikshow der Welt? Der Eurovision Song Contest 2024 in Malmö wurde dieses Jahr von Kontroversen und politischen Spannungen überschattet, die die sonst so feierliche Atmosphäre der Veranstaltung trübten. Proteste und eine Disqualifikation beeinflussten dieses Jahr die ansonsten so feierliche Stimmung des Musikspektakels – auch wenn die Moderatorinnen in Malmö den Trubel während der Liveshow überspielten. Trotz der Unruhen saßen wie letztes Jahr allein in Deutschland rund acht Millionen Zuschauer vorm Fernseher, wenn man die Zahlen vom Ersten und dem ARD-Spartensender One addierte.

Trotzdem gab es auch wie jedes Jahr etwas zu feiern. Deutschland konnte mit Sänger Isaak und dem Song «Always On The Run» die jahrelange Negativ-Serie von letzten und vorletzten Plätzen beenden und den zwölften Platz unter 25 Finalisten ergattern. «Ich bin sehr happy. Ich bin super happy, super stark», freute sich der 29-Jährige nach der Show. Der Sieg ging jedoch in der Nacht zum Sonntag an die Schweiz mit Nemo. Der Siegertitel «The Code» beeindruckte indessen als wilder Genre-Mix aus Pop, Rap, Oper, Drum ’n‘ Bass und James-Bond-Song.

Schweiz siegt dank Juryvotes

Das verbindende ESC-Motto «United by Music» wurde folglich auf die Probe gestellt wie schon lange nicht mehr. Draußen ereilten sich Demos und Festnahmen, drinnen Buhrufe und mehr Trubel. Neben all den Ereignissen konnte die Schweiz erstmals seit 1988 mit Céline Dion wieder gewinnen. Musiker Baby Lasagna aus Kroatien konnte mit «Rim Tim Tagi Dim» sich in der Gesamtplatzierung den zweiten Platz sichern, gefolgt von der Ukraine, Frankreich und Israel.

Hätte nur das Fernsehpublikum Europas abgestimmt, wäre Kroatien Sieger geworden, knapp vor Israel (337 gegen 323 Punkte), gefolgt von der Ukraine, Frankreich und der Schweiz. Da die Schweiz jedoch haushoch bei den zu 50 Prozent relevanten Jury-Punkten siegte (365 Punkte; Frankreich dahinter 218 Punkte), konnte Nemo an den anderen vorbeiziehen.

Deutschland schaffte es beim Juryvoting sogar auf Platz zehn, beim Televoting jedoch nur auf Rang 19, was Gesamtplatz zwölf bedeutete. Eine noch krassere Diskrepanz zeichnete sich zwischen Jurys und Publikum im Fall Israel ab: beim Juryvoting Platz zwölf, beim Televoting Platz zwei.

Trophäe zerbrochen – ESC auch?

Der Sieger des Abends, Nemo (Name wie der Clownfisch aus dem Animationsfilm «Findet Nemo» von 2003) lebt in Berlin und identifiziert sich als nicht-binär («Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau»). Nach dem Sieg sorgte Nemo an diesem ereignisreichen ESC gleich für die nächste Schlagzeile und zerbrach die Trophäe versehentlich auf der Bühne. Dafür gab es prompt einen Ersatz-Preis. «Die Trophäe kann repariert werden – vielleicht braucht der ESC auch ein kleines bisschen Instandsetzung», verlautete Nemo vieldeutig.

Doch schon zuvor wurde die Show mehrmals auf die Probe gestellt. Immer wieder wurde das vierstündige ESC-Finale durch laute Buhrufe gestört. Ursache war der Protest gegen das Teilnehmerland Israel und Unzufriedenheit mit der Entscheidung der Europäischen Rundfunkunion (EBU) als Veranstalter, Joost Klein («Europapa») für die Niederlande im Finale zu sperren. Klein (26) war am Samstag kurzfristig vom Wettbewerb disqualifiziert worden. Hintergrund waren laut dem niederländischem TV-Sender Avrotros Vorwürfe, er habe eine aggressive Geste gegenüber einer Kamerafrau gezeigt.

Der niederländische öffentlich-rechtliche Rundfunk zeigte sich unzufrieden und hatte eine offizielle Beschwerde gegen den Beschluss eingereicht. Daher erntete ESC-Chef Martin Österdahl vor Beginn der traditionellen Punktevergabe der Jurys aus Teilnehmerländern Raunen und Buhrufe aus dem Publikum.

Proteste vor und in der Halle – Greta Thunberg abgeführt

Die Show wurde aber vor allem durch israelfeindliche Proteste vor und in der Halle bestimmt. Sie richteten sich gegen die Entscheidung der Veranstalter, Israel trotz des Gaza-Krieges mit bislang mehr als 34 000 toten Palästinensern teilnehmen zu lassen. Diese Zahl benennt das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Der jüdische Staat reagierte mit dem Krieg auf die von palästinensischen Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten Massaker. Die Kritiker werfen den Veranstaltern in dem Kontext Doppelmoral vor, weil die EBU Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine einst ausschloss.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, verurteilte die Proteste. «Es entspricht einem gängigen antisemitischen Muster, Israelis kollektiv in Haftung für Handlungen ihrer Regierung oder ihrer Armee zu nehmen, die sie oftmals selbst verurteilen», schilderte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Tausende Menschen gingen auf die Straßen, denen ein großes Polizeiaufgebot entgegengebracht wurde. Dennoch blieb es überwiegend friedlich, so das Polizei-Fazit. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg (21) wurde allerdings von der Polizei mit anderen Demonstrierenden vom Platz vor der Arena abgeführt, nachdem sich dort die Stimmung aufgeheizt hatte. Einsatzkräfte sperrten den Platz ab. Weitere Störer wurden draußen festgenommen.

Auch drinnen in der Halle gab es vom Publikum immer wieder Protestrufe gegen Israels Act. Die Störversuche zogen sich durch den gesamten Abend. Schon beim Einzug der Nationen waren Pfiffe zu hören, als die israelische Sängerin Eden Golan die Bühne betrat. Die 20-Jährige musste in Schweden die gesamte Zeit über massiv beschützt werden.

Schweizer Städte können sich nun bewerben

Während der Performance ihres Liedes «Hurricane» musste Golan später wieder Pfiffe und Buhrufe über sich ergehen lassen. Die Proteste wurden dann noch einmal zur Punktevergabe der israelischen Jury lauter. Deutschlands Fernsehpublikum vergab beim Televoting seine Höchstpunktzahlen an Israel (12), Kroatien (10) und die Ukraine (8).

Nächstes Jahr wird der ESC in der Schweiz stattfinden. Als Austragungsorte wurden in den Medien bereits Städte wie Zürich, Bern, Genf oder Basel genannt.

Quellen: Mit Material der dpa.