Filmfestspiele in Cannes eröffnet

VonLukas Richter

15. Mai 2024
Jurypräsidentin Greta Gerwig bei der Eröffnungsfeier des 77. Filmfestivals von Cannes. Foto: Vianney Le Caer/Invision/AP/dpaJurypräsidentin Greta Gerwig bei der Eröffnungsfeier des 77. Filmfestivals von Cannes. Foto: Vianney Le Caer/Invision/AP/dpa

Eine neue MeToo-Bewegung, ein Streikaufruf und Diskussionen über den Gaza-Krieg: Die aktuellen globalen Ereignisse beeinflussen auch die Filmfestspiele in Cannes. Wie bereits bei der Berlinale, zeigt sich auch im südfranzösischen Cannes die Politisierung der Kulturbranche. Die diesjährige Jury, geleitet von der „Barbie“-Regisseurin Greta Gerwig, hat sich vor der Eröffnung zu aktuellen politischen Fragen geäußert und erläutert, welche Bedeutung dem Film in diesem Kontext zukommt.

Greta Gerwig: Weitere Gespräche über MeToo sind wichtig

Ein Thema vor dem Start des Festivals war eine zweite MeToo-Welle, die die französische Filmbranche aktuell beschäftigt. Gerwig zeigte sich solidarisch. «Ich denke, dass es nur gut ist, wenn Menschen in der Filmgemeinschaft ihre Geschichten erzählen und versuchen, die Dinge zum Besseren zu wenden», sagte die 40-Jährige in Cannes. 

Im Februar löste die Schauspielerin Judith Godrèche eine Debatte aus, als sie bei der Verleihung der César-Filmpreise das Thema sexuelle Gewalt und Missbrauch in der Filmbranche ansprach. Sie hatte zuvor Anklage gegen zwei renommierte Regisseure wegen Missbrauchs erhoben. In Cannes präsentiert Godrèche ihren Kurzfilm zum Thema sexuelle Gewalt, betitelt mit «Moi Aussi».

Solidarität mit Streikaufruf

Die Eröffnung der Filmfestspiele von Cannes wurde durch einen Aufruf zum Streik überschattet. Ein Kollektiv appellierte letzte Woche an „alle Mitarbeiter der Filmfestspiele von Cannes und der parallelen Sektionen“, die Vorstellungen zu stören. Die Initiatoren, zu denen Filmvorführer und Kartenverkäufer gehören, möchten auf die ihrer Meinung nach prekären Arbeitsbedingungen hinweisen.

«Nun, ich unterstütze natürlich die Arbeiterbewegung», sagte Gerwig. «Wir haben das gerade in unseren Gewerkschaften durchgemacht», ergänzte sie in Anspielung auf den Streik der US-Schauspielgewerkschaft, der vergangenes Jahr monatelang die Branche lahmgelegt hatte. «Ich hoffe, dass das Festival und die Arbeiter eine Vereinbarung treffen können, die gut für sie ist», sagte Gerwig.

Kino als Antwort auf Krieg?

Auch auf den Gaza-Krieg wurden die neun Mitglieder der Wettbewerbs-Jury am Dienstag angesprochen. Der italienische Schauspieler Pierfrancesco Favino erinnerte an die Macht des Kinos, um dem Grauen etwas Positives entgegenzusetzen. «Ich denke immer noch, dass eines der friedlichsten Dinge, die wir tun können, darin besteht, nach Schönheit zu suchen», sagte er. 

Die libanesische Schauspielerin und Regisseurin Nadine Labaki sagte: «Ich glaube wirklich, dass eines der Mittel, um etwas an der Situation zu ändern, in der wir alle jetzt leben – und die meiner Meinung nach nicht so toll ist -, die Kunst und das Kino ist. Filme zu machen, die über das, was passiert, auf die richtige Art und Weise und aus der richtigen Perspektive sprechen und vielleicht eine tolerantere Art und Weise vorschlagen, die Dinge wahrzunehmen und sich gegenseitig als menschliche Wesen zu sehen.»

Festivaldirektor will keine kontroversen politischen Aktionen

Die Filmfestspiele Cannes finden vom 14. bis 25. Mai statt. 22 Filme konkurrieren dieses Jahr um die Goldene Palme. Das Festival selbst legt Wert darauf, den Fokus ganz auf die präsentierten Werke zu lenken. Auf befürchtete politische Aktionen angesprochen, hatte Festivaldirektor Thierry Frémaux in einem Pressegespräch abgewunken. «Wir haben beschlossen, ein Festival ohne Kontroversen zu machen», sagte er. Frémaux ergänzte, dass Filme das Medium seien, über das politische Inhalte transportiert werden sollten. «Die Politik ist in Cannes auf der Leinwand zu sehen», sagte er. 

Eröffnungsfilm über den Zustand des Kinos in aktuellen Zeiten

Zur Eröffnung des Festivals erhielt US-Schauspielerin Meryl Streep eine Goldene Ehrenpalme. Anschließend wurde die Komödie «Le deuxième acte» von Quentin Dupieux gezeigt. Der 50-Jährige ist unter dem Pseudonym Mr. Oizo auch als Musiker bekannt. Seine skurrilen Filme zeichnen sich oft durch absurden Humor aus. «Le deuxième acte» ist mit den französischen Schauspiel-Stars Léa Seydoux, Vincent Lindon und Louis Garrel besetzt.

Der Film stellt eine Meta-Erzählung über den Zustand der Kunst und des Kinos in der heutigen Zeit dar. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Liebesgeschichte: Florence (Seydoux) will David (Garrell), in den sie verliebt ist, ihrem Vater Guillaume (Lindon) vorstellen. Aber David ist nicht an Florence interessiert und versucht, einen Freund davon zu überzeugen, sich mit ihr einzulassen.

Doch die Figuren treten schnell aus ihren Rollen heraus und diskutieren über das Filmprojekt. «Du kannst das nicht sagen, wir werden gefilmt», ermahnt David etwa seinen Freund, als dieser sich abfällig über Trans-Menschen äußert. Es entspannt sich eine Diskussion über Cancel Culture und politische Korrektheit. Später erklärt Guillaume, dass er keine Lust mehr auf den Film habe und keine «blöden kleinen Liebesgeschichten» drehen wolle, während die Welt im Chaos versinke. Doch dann bekommt er einen Anruf, dass er für ein Projekt des berühmten US-Regisseurs Paul Thomas Anderson gecastet worden sei – und ist plötzlich wieder Feuer und Flamme für die Schauspielerei.

Regisseur des Films ist unterdessen kein Mensch, sondern eine Künstliche Intelligenz, die ihre Befehle abgehackt über einen Laptop gibt. «Le deuxième acte» spielt auf humorvolle, wenn auch nicht gerade subtile Weise mit aktuellen Debatten der Kunstwelt. Ein passender Start für das Filmfestival Cannes, auf dem diese Debatten wohl an der ein oder anderen Stelle noch eine Rolle spielen werden.

Quellen: Mit Material der dpa.